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Grüne Chemie

Ein traditionelles Konzept der Prozesschemie ist die Optimierung der Raum-Zeit-Ausbeute. Von unserer gegenwärtigen Lage aus gesehen muss dieser limitierte Ansatz erweitert werden, da z.B. giftige Abfälle natürliche Ressourcen und damit die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zerstören. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass einige Rohstoffe der chemischen Industrie auf Erdöl basieren, das keine erneuerbare Ressource darstellt. Somit stellt sich die Frage, welche Alternativen zur Verfügung stehen oder entwickelt werden müssen. Und es muss sichergestellt werden, dass zukünftige Generationen diese Alternativen im gleichen Mass gebrauchen können. Das Konzept der "Nachhaltigkeit" beinhaltet die Erhaltung der Langzeit-Produktivität der Umwelt, so dass auch nachfolgende Generationen auf diesem Planeten leben können. Nachhaltigkeit hat somit umweltbezogene, ökonomische als auch soziale Dimensionen.

Paul Anastas der EPA (Environmental Protection Agency der USA) hat 12 Merkpunkte erarbeitet, wie in der Herstellung von Chemikalien und chemischen Produkten Nachhaltigkeit erzielt werden kann - die "Prinzipien der Grünen Chemie":

  1. Vermeidung von Abfällen anstelle deren Entsorgung
  2. Atomökonomie und Atomeffizienz
  3. Verwendung harmloserer und weniger giftiger Chemikalien
  4. Entwicklung von ungefährlichen Produkten
  5. Verwendung von ungefährlichen Lösungsmitteln und Hilfsstoffen
  6. Bessere Energieeffizienz
  7. Bevorzugte Verwendung von erneuerbaren Rohstoffen
  8. Kürzere Synthesewege
  9. Katalysatoren statt stöchiometrischer Reagenzien
  10. Produkte sollen in der Umwelt abbaubar sein
  11. Analytische Methoden zur Überwachung der Umweltverschmutzung
  12. Von Grund auf sichere Prozesse

Die Umsetzung dieser Prinzipien der Grünen Chemie benötigt auf jeden Fall ein gewisses Mass an Investitionen, da viele der jetzigen, oftmals sehr kostengünstigen, chemischen Prozesse neuentwickelt werden müssen. Aber in Zeiten, in denen Rohstoffe knapp werden (so sind z.B. gewisse Übergangsmetalle nur limitiert erhältlich) und auch die Energiekosten steigen, wird der finanzielle Aufwand für die Neuentwicklung irgendwann wieder eingespielt. Das heisst, die optimierten Prozesse werden in der Zukunft günstiger als die traditionellen Verfahren. Somit kann die Entwicklung von grünen Methoden als eine Zukunftsinvestition gesehen werden, die zudem mithilft, dass die Produktion mit künftigen, gesetzlichen Regelungen konform bleibt.

Ein typischer, chemischer Prozess erzeugt Produkte und Abfälle aus Rohmaterialien wie Edukten, Lösungsmitteln und Reagenzien. Wenn Reagenzien und Lösungsmittel recycliert werden, so sehen die Massenströme bedeutend anders aus:

Die Menge an Abfällen lässt sich also reduzieren, wenn die meisten Reagenzien und Lösungsmittel recyclierbar sind. So könnten z.B. Katalysatoren und Reagenzien wie Säuren und Basen an eine Festphase gebunden, nach simpler Filtration regeneriert und dann wiederverwendet werden. In der grosstechnischen Produkten verbleiben heterogene Katalysatoren stationär, wohingegen Edukt kontinuierlich zugegeben und das Produkt fortlaufend entfernt wird (z.B. durch Destillation).

Die Masseneffizienz chemischer Prozesse lässt sich mit Hilfe des E-Faktors (Englisch: Environmental factor) beurteilen:

Ein idealer E-Faktor von 0 wird nahezu in der Raffinierung von Erdöl erreicht; Faktoren zwischen 1 und 50 sind normal für die Produktion von Feinchemikalien. Typische E-Faktoren für pharmazeutische Produkte liegen zwischen 25 und 100. Achtung: Wasser ist in der Kalkulation nicht berücksichtigt, weil sonst die E-Faktoren bei Extraktionen deutlich vergrössert werden. Allerdings müssen anorganische und organische Rückstände im Wasser berücksichtigt werden. Manchmal ist es einfacher, E-Faktoren von einer anderen Perspektive aus zu berechnen, da die Verluste und exakten Abfallströme oftmals schwer zu beurteilen sind.

Hauptproblem ist aber, dass der E-Faktor die Toxizität der Abfälle nicht berücksichtigt. Ein Korrekturfaktor (ein "Unfreundlichkeits-Faktor" Q) wäre 1, falls die Abfälle keinen Einfluss auf die Umwelt haben; kleiner als 1, falls die Abfälle recyclierbar sind, oder in einem anderen Produkt Verwendung finden; oder grösser als 1, falls die Abfälle gefährlich (toxisch) sind. Solche Diskussionen sind aber bislang eher in einem Frühstadium, weshalb man weiterhin auf unkorrigierte E-Faktoren zurückgreift, um chemische Prozesse quantitativ miteinander zu vergleichen.

Ein weiterer Ansatz, die Effizienz chemischer Reaktionen zu berechnen, ist die sogenannte Atomökonomie oder Atomeffizienz:

Atomeffizienz ist ein rein theoretischer Wert, der weder Lösungsmittel noch tatsächliche Ausbeute umfasst. Eine experimentelle Atomeffizienz kann aber berechnet werden, indem die chemische Ausbeute mit der theoretischen Atomeffizienz multipliziert wird. Trotzdem bleibt auch diese Diskussion eher im quantitativen Rahmen, da auch hier nicht berücksichtigt wird, wie toxisch Produkte und Reagenzien sind. Aber "Atomökonomie" als Begriff kann durchaus zu einer Beschreibung von Reaktionen genutzt werden.

Konkrete Reaktionen zeigen zwei Hauptangriffspunkte, auf die sich "Grüne Chemie" fokussiert: Wahl des Lösungsmittels und die Entwicklung katalysierter Reaktionen. Zum Beispiel konnte die Woodward-Reaktion in der Produktion von Stereoiden dank Entwicklung katalysierter Varianten ersetzt werden. In der ursprünglichen Reaktion ist die grosse Mengen an verwendeten Silbersalzen auch ein ökonomischer Faktor:


Woodward-Reaktion

Die Silbersalze können durch stöchiometrische Mengen an OsO4 ersetzt werden, aber Osmiumtetroxid ist sowohl sehr toxisch als auch kostenintensiv. Erst eine katalysierte Variante mit N-Methylmorpholin-N-Oxid als stöchiometrischem Oxidationsmittel kann als grüne Reaktion angesehen werden:


Upjohn-Dihydroxylierung

In einigen neuen Protokollen wird H2O2 eingesetzt, um das entstehende N-Nethylmorpholin zu reoxidieren, womit auch dieses Reagenz in katalytischen Mengen genutzt werden kann. Mit Blick auf die Atomeffizienz fällt auf, dass H2O als stöchiometrisches Nebenprodukt deutlich besser als N-Nethylmorpholin ist. Erwähnenswert ist auch, dass Reaktionssysteme entwickelt wurden, in denen der Osmium-Katalysator an eine feste Matrix gebunden ist, was es ermöglicht, ihn einfacher von den Produkten abzutrennen und wiederzuverwenden. Ein weiterer Vorteil eines solchen Polymer-gebundenen Katalysators ist die Vermeidung toxischer Spuren von Übergangsmetallen - z.B. in pharmazeutischen Produkten.

Ein wichtiger Punkt ist aber die Wahl des Lösungsmittels, da hiermit die Hauptkomponente (ca. 90%) von chemischen Reaktionssystemen vorliegt. Chlorierte Lösungsmittel sollten vermieden werden, da viele dieser Lösungsmittel toxisch und volatil sind und an der Zerstörung der Ozonschicht teilhaben. Alternative Lösungsmittel wären z.B. ionische Flüssigkeiten, die nichtflüchtig sind und nicht-wässrige Reaktionsmedien unterschiedlicher Polarität ermöglichen. Ionische Flüssigkeiten haben ein grosses Potential, da Systeme entwickelt werden können, in denen Produkte durch Extraktion oder Destillation aus dem Lösungsmittel abtrennbar sind. Wenn ein Katalysator in der ionischen Flüssigkeit verbleibt, können theoretisch sowohl Lösungsmittel als auch Katalysator recycliert werden. Lösungsmittel der Wahl für Grüne Chemie ist aber Wasser - eine nicht-toxische Flüssigkeit mit beschränkter, chemischer Kompatibilität. Zum einen werden spezifische Diels-Alder-Cycloadditionen in Wasser sogar beschleunigt, zum anderen sind einige Reagenzien wie Organometalle mit Wasser unverträglich. Somit eröffnet sich hier ein grosses Betätigungsfeld, um Reaktionen zu finden, die in wässrigen Lösungen zu den gewünschte Produkten führen. Eine kurze Übersicht kann hier gefunden werden: S. Varma, Clean Chemical Synthesis in Water, Org. Chem. Highlights 2007, February 1. Chemische Reaktionen, welche trocken (ohne Lösungsmittel) oder in superkritischem CO2 ablaufen, können auch als grüne Alternativen angesehen werden. Weitere Verbesserungsmöglichkeiten sind z.B. Ersatz von Benzol durch Toluol (als weniger toxische Alternative), oder Verwendung von Lösungsmitteln, die von Mikroorganismen schnell abgebaut werden.

Einige der Fortschritte der letzten Jahre in der Entwicklung grüner Alternativen zu klassischen Reaktionen sind durchaus erstaunlich. Beispiele hierzu finden sich in der Literatursektion der englischsprachigen Seite (Green Chemistry) die kontinuierlich aktualisiert wird. Eine gute Einführung in Grüne Chemie - auf der dieser Text partiell basiert - mit einem Fokus auf Katalyse bietet ein von Sheldon, Arends und Hanefeld editiertes Buch (Green Chemistry and Catalysis, Wiley-VCH Weinheim, 2007, 1-47.).


Bücher


Green Chemistry and Catalysis

Roger A. Sheldon, Isabel Arends, Ulf Hanefeld
Hardcover, 434 Pages
First Edition, 2007
ISBN-13: 978-3-527-30715-9
Wiley-VCH


Chemistry in Alternative Reaction Media

D. J. Adams, P. J. Dyson, S. J. Taverner
Paperback, 268 Pages
First Edition, November 2003
ISBN: 0-471-49849-1
Wiley


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