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19.02.08 Neue Angriffspunkte für Infarkttherapie

Blutgerinnung: Prozess erkannt, Infarkt gebannt?

Bisher unbekannte Proteine der Blutgerinnung sind möglicher Angriffspunkt für neue Infarkttherapie

Wissenschaftler um Bernhard Nieswandt vom Rudolf-Virchow-Zentrum/ DFG-Forschungszentrum und Reinhard Fässler vom Max-Planck-Institut für Biochemie klären fundamentalen Schritt der Blutstillung auf. Zwei neue Proteine - Talin-1 und Kindlin-3 - spielen dabei eine entscheidende Rolle und werden damit zu Zielmolekülen für die Entwicklung von Medikamenten gegen Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Abb. 1: Das Bild links zeigt ein Blutgefäss einer Maus mit Blutpfropf beim Wildtyp, das Bild rechts das Blutgefäss von einer Mutante ohne Kindlin-3-Protein - hier bildet sich kein Blutpfropf.
Quelle: MPI für Biochemie

Wie wird ein verletztes Blutgefäss verschlossen? Oberflächlich betrachtet mit einem Pflaster. Tatsächlich führt jedoch erst eine Gerinnungskaskade in den verletzten Gefässen dazu, dass Blutplättchen, die sogenannten Thrombozyten, zu einem Blutpfropf verklumpen, der schliesslich die Blutung stillt. Viele Details, die zur Blutstillung führen, sind bisher allerdings noch völlig unbekannt. Dabei wäre ein tiefes Verständnis dieser Prozesse nötig, beispielsweise um Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall verstehen und wirksam behandeln zu können. Ursache hierfür ist nämlich ein Blutpfropf, der im erkrankten Gefäss entsteht und dort zu Durchblutungsstörungen oder zum vollständigen Verschluss des Gefässes führt.

Seit einiger Zeit untersucht ein Team von Wissenschaftlern der Abteilung für Molekulare Medizin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried Proteine auf der Oberfläche von Blutplättchen, die sogenannten Integrine. Diese werden bei einem Gefässdefekt aktiviert und vermitteln dann zum einen das Anheften der Blutplättchen an die geschädigte Gefässwand und zum anderen ihre Vernetzung untereinander. In Kooperation mit der Gruppe von Bernhard Nieswandt von der Universität Würzburg haben die Max-Planck-Forscher Markus Moser und Siegfried Ussar nun jene Proteine untersucht, die für die Aktivierung von Integrinen auf Blutplättchen wichtig sind.

Dabei sind die Wissenschaftler auf zwei bisher nicht gut charakterisierte Proteine gestossen - Talin-1 und Kindlin-3 -, die Integrine offenbar direkt aktivieren. Verhinderten die Forscher die Bildung von Talin-1 bei Mäusen, so wurden auch die Integrine der Blutplättchen nicht aktiviert. Die Tiere konnten keine Blutpfropfen ausbilden, Blutungen in verletzten Gefässen wurden nicht gestillt. Bei Mäusen, denen das Protein Kindlin-3 fehlt, kam es in verletzten Gefässen ebenfalls nicht zur Verklumpung. Auch hier wurden die dazu notwendigen Integrine nicht aktiviert.

Abb. 2: Blutplättchen (helle Punkte) in der Arterie einer betäubten Maus. Damit man die Plättchen unter dem Mikroskop verfolgen kann, werden sie mit einem fluoreszierenden Stoff sichtbar gemacht. Die Aufnahmen zeigen, dass nur Mäuse, die das Protein Talin-1 ausbilden können, nach einer Gefässschädigung Blutgerinnsel (Thromben) bilden und das Gefäss zur Blutstillung ganz verschliessen (oben). Ohne Talin-1 geschieht dies nicht (unten). (Bild: 0, 10, 17 Minuten nach Verletzung).
Quelle: Nieswandt, RVZ

Abb. 3: Die Aufnahmen zeigen, dass nur Mäuse, die das Protein Kindlin-3 ausbilden können, nach einer Gefässschädigung Blutgerinnsel bilden und das Gefäss zur Blutstillung ganz verschliessen (oben). Ohne Kindlin-3 geschieht dies nicht (unten). (Bild: 9, 20, 25 Minuten nach Verletzung).
Quelle: Nieswandt, RVZ

Die Wissenschaftler haben auch herausgefunden, wie die Aktivierung der Integrine über Talin-1 und Kindlin-3 funktioniert: "Die Proteine verändern die Struktur der Integrine auf der Oberfläche von Blutplättchen und zwar so, dass sie an elastische Fasern binden können, die die Plättchen dann miteinander vernetzen", erklärt Markus Moser. So entsteht ein Blutpfropf und die Blutungen stoppen innerhalb kürzester Zeit.

Der umgekehrte Weg ist nun für die klinische Anwendung denkbar: "Eine Blockade der Proteine würde dazu führen, dass gefährliche Verklumpungen in erkrankten Gefässen aufgelöst werden oder erst gar nicht entstehen können", so der Biochemiker. Das macht Talin-1 und Kindlin-3 zu möglichen Angriffspunkten für die Vorbeugung und Therapie von Herzinfarkt oder Schlaganfall. Besonders Kindlin-3 ist für die Forscher interessant: das Protein kommt nämlich ausschliesslich in Blutzellen vor; Nebenwirkungen in anderen Zellen können damit ausgeschlossen werden.

Quellen:

Loss of talin1 in platelets abrogates integrin activation, platelet aggregation and thrombus formation in vitro and in vivo
B. Nieswandt, M. Moser, I. Pleines, D. Varga-Szabo, S. Monkley, D. Critchley, R. Fässler, Journal of Experimental Medicine 2007, 204, 3113-3118. DOI: 10.1084/jem.20071827

Kindlin-3 is essential for integrin activation and platelet aggregation
M. Moser, B. Nieswandt, S. Ussar, M. Pozgajova, R. Fässler, Nature Medicine 2008. DOI: 10.1038/nm1722

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