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12.12.09 Tumortherapie mit Ionenstrahlen ist schonend

Krebstherapie mit Ionenstrahlen

Spätfolgen sind kaum zu erwarten

Abb. 1: Darstellungen der Chromosomen einer menschlichen Zelle, so genannte Karyogramme. Die Chromosomen sind mit der mFish-Methode unterschiedlich eingefärbt. Auf dem Bild ist ein Karyogramm einer gesunden Zelle zu sehen.
Quelle: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH

Abb. 2: Darstellungen der Chromosomen einer menschlichen Zelle, so genannte Karyogramme. Die Chromosomen sind mit der mFish-Methode unterschiedlich eingefärbt. Auf dem Bild sind Schäden an den Chromosomen Nr.2 und Nr.17 zu erkennen zwischen denen ganze Abschnitte vertauscht sind (wiss: Translokationen).
Quelle: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH

Die Wahrscheinlichkeit für Spätfolgen nach einer Therapie mit Ionenstrahlen ist geringer als bei herkömmlicher Strahlentherapie. Dies konnten Wissenschaftler am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung durch Blutuntersuchungen von Patienten mit Prostata-Tumoren nachweisen. Damit haben sie die bisherigen Risiko-Abschätzungen experimentell bestätigt. Die Therapie mit Ionenstrahlen zeichnet sich durch hohe Heilungsraten und geringe Nebenwirkungen aus. Sie ist ein sehr genaues, hochwirksames und gleichzeitig sehr schonendes Therapieverfahren. Ionenstrahlen dringen in den Körper ein und entfalten ihre größte Wirkung erst tief im Gewebe, hochpräzise in einem nur stecknadelkopfgroßen Bereich. Sie werden so gesteuert, dass Tumoren bis zur Größe eines Tennisballs Punkt für Punkt und millimetergenau bestrahlt werden können. Das Verfahren eignet sich vor allem für Tumore in der Nähe von Risikoorganen, wie z.B. dem Sehnerv, dem Hirnstamm, der Blase oder des Darms.

"Dass die Wahrscheinlichkeit für Spätfolgen bei Bestrahlungen von Prostata-Tumoren gering ist, lässt uns vermuten, dass dies auch für andere Tumore der Fall ist. Ein weiteres überzeugendes Argument für die Ionenstrahltherapie, für die am GSI Helmholtzzentrum ein völlig neues Bestrahlungsverfahren entwickelt und eingesetzt wurde", sagt Professor Marco Durante, der Leiter der Abteilung Biophysik bei GSI.

"Wir haben in den Blutzellen der bestrahlten Patienten mit Prostata-Tumoren die Chromosomenschäden untersucht. Die Anzahl der Schäden nach einer Behandlung mit Ionenstrahlen lag dabei unter der nach einer konventionellen Bestrahlung. Chromosomenschäden geben uns Auskunft über die Wahrscheinlichkeit für Spätfolgen, wie zum Beispiel ein Auftreten von Sekundärtumoren", sagt Sylvia Ritter, die Projektleiterin aus der Abteilung Biophysik bei GSI.

Bei jeder Strahlentherapie wirkt ein Teil der Strahlung auch auf das gesunde Gewebe, das auf dem Weg zum Tumor mit dem Strahl durchquert werden muss. Während eine hohe schädigende Wirkung der Strahlung im Tumor gewollt ist, soll das umliegende gesunde Gewebe möglichst verschont bleiben. Eine Bestrahlung mit Ionenstrahlen bewirkt eine hohe Dosis im Tumor bei gleichzeitig wesentlich geringerer Dosis im umliegenden gesunden Gewebe als bei einer Bestrahlung mit Röntgenstrahlen. Dass die Spätfolgen der Ionentherapie geringer sind als bei bereits etablierten Bestrahlungsverfahren, war zwar von den GSI-Experten bereits prognostiziert worden, konnte aber nun mit so genannten molekular-zytogenetischen Untersuchungen bestätigt werden. Eine einzige vergleichbare Studie zu Sekundärschäden nach Ionentherapie wurde 2000 in Japan durchgeführt. In der Studie wurden Tumoren an Gebärmutter und Speiseröhre untersucht.

Die Wissenschaftler haben Blutproben von 20 Patienten untersucht, die sich einer Kombinationstherapie aus Ionen- und Röntgen-Strahlung oder einer alleinigen Röntgen-Bestrahlung der Prostata unterzogen hatten. Für ihre Untersuchungen verwendeten sie weiße Blutkörperchen, die als Bestandteil des menschlichen Blutes den gesamten Körper durchströmen. Sie eignen sich daher besonders gut, um Schäden an Chromosomen durch eine Strahlentherapie zu untersuchen und daraus die Wahrscheinlichkeit für Spätfolgen abzuschätzen.

Um den therapiebedingten Anstieg der Schäden nachzuweisen wurden den Patienten vor, während und nach der Therapie Blutproben entnommen und mit Blutproben von gesunden Menschen verglichen. Die Wissenschaftler verwendeten bei ihren Untersuchungen die mFISH-Methode (multicolour Fluorescent in situ Hybridisation), um die Chromosomen sichtbar zu machen. Chromosomen sind Strukturen im Zellkern einer jeden menschlichen Zelle, die das Erbgut enthalten. Das Erbmaterial wird bei mFISH unterschiedlich eingefärbt und in Form eines Karyogramms dargestellt. Durch die farbliche Kodierung lassen sich schnell und sicher Schäden durch die Bestrahlung nachweisen.

Quelle:

Chromosomal aberrations in peripheral blood lymphocytes of prostate cancer patients treated with IMRT and carbon ions
C. Hartel, et. al., Radiotherapy & Oncology 2009, DOI: 10.1016/j.radonc.2009.08.031

Tumore unter scharfem Beschuss

Münchener Physiker erzeugen hochenergetische Kohlenstoffstrahlen mit Lasern

Hochenergetische Ionenstrahlen in guter Qualität und definierter Dosis für die punktgenaue und dennoch kostengünstige Bestrahlung von Tumoren nutzen zu können, steht schon lange auf der Wunschliste der Onkologen. Moderne Lasertechnik könnte künftig teure Teilchenbeschleuniger ablösen: Einem Team um Prof. Dr. Dietrich Habs von der Ludwig-Maximilians-Universität München ist es nun im Rahmen des Exzellenzclusters "Munich-Centre for Advanced Photonics" (MAP) in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Max-Born-Instituts in Berlin gelungen, einen bereits lange vorhergesagten Mechanismus der laserbasierten Strahlenerzeugung erstmals experimentell zu bestätigen.

Abb. 3: Wie der Wind im Segel ein Schiff voran trägt, drückt das Laserlicht Elektronen und Ionen in seiner Bugwelle vorwärts.
Quelle: Andreas Hening, Max-Planck Institut für Quantenoptik

Kohlenstoffstrahlen gelten als effektivste und für den Patienten schonendste Methode, Tumore zu behandeln, weil sie ihre zerstörerische Kraft erst unmittelbar im Tumor entfalten und nicht schon auf dem Weg dorthin die gesunden Zellen schädigen, wie es bei konventionell eingesetzten Röntgen- oder Elektronenstrahlen der Fall ist. Sie eignen sich daher besonders für die Behandlung von Tumoren in hochsensiblen Regionen, beispielsweise in der Nähe des Hirnstammes, oder für sehr tief im Körper liegende Tumore. Ein Problem stellt derzeit allerdings die Erzeugung dieser Strahlen dar: Stand der Technik sind große Beschleunigeranlagen, die technisch extrem aufwändig und sehr teuer sind - sowohl im Bau als auch im Betrieb. Die meisten Krebspatienten kommen daher gar nicht in den Genuss dieser Behandlung. "Als Mediziner sind wir heute auf die Fortschritte der Physiker angewiesen, um noch mehr Patienten heilen zu können", macht Prof. Dr. Michael Molls vom Klinikum rechts der Isar, ebenfalls Mitglied im Exzellenzcluster, deutlich.

Ionenstrahlen lassen sich jedoch auch mittels kompakter Lasersysteme erzeugen, was gegenüber bisher notwendigen Großanlagen sehr vorteilhaft ist. "Mit der neuen Technik ist der eigentliche Beschleuniger kleiner als die Dicke eines Haares", verdeutlicht Habs. Derart kurze Distanzen sind ausreichend, um Ionen mit hochintensiven Laserpulsen auf hohe Energien zu beschleunigen. Auch die Strahlführung zum Patienten wird wesentlich verkleinert, die tonnenschweren Magnete durch filigrane Spiegel ersetzt. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, eine effiziente Methode zu entwickeln um auf alle Ionen die gleiche Energie zu übertragen. Hier setzt die Arbeitsgruppe um Prof. Habs an. Andreas Henig führte zusammen mit Berliner Physikern die ersten erfolgreichen Experimente durch: "Mit den neuesten Messungen haben wir es geschafft, sowohl in der Effizienz der Ionenstrahlerzeugung als auch in der Energieverteilung der beschleunigten Teilchen einen experimentellen Durchbruch zu erzielen."

Die energiereichen Ionen erzeugen die Forscher, indem sie diamantartige Kohlenstoff-Folien mit hochintensiven Laserpulsen bestrahlen. Das starke elektrische Feld im Laserfokus trennt die Atome der Folie in Elektronen und Ionen und erzeugt dadurch ein Plasma. Die enorme Laserintensität (etwa 100 Trillionen mal stärker als die durchschnittliche Strahlungsintensität der Sonne) heizt die leichteren Elektronen stark auf und trennt sie in einer expandierenden Wolke von den trägeren, weil deutlich schwereren Ionen. Ein Ladungstrennungsfeld enormer Stärke entsteht und beschleunigt die Ionen bis auf etwa ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit. Allerdings zeigten die so erzeugten Ionenstrahlen bisher ein breites Energiespektrum, eine medizinische Anwendung dagegen erfordert eine genau definierte Teilchenenergie, um Eindringtiefe und Dosisverteilung präzise zu regeln.

Die Münchner Physiker haben nun erstmals einen Beschleunigungsprozess experimentell demonstriert, der alle Ionen mit gleicher Geschwindigkeit fliegen lässt. Sie haben die Polarisation des Lasers von linear auf zirkular geändert und die Dicke der laserbestrahlten diamantartigen Kohlenstoff-Folien auf wenige Nanometer reduziert - das vermeidet ein unkontrolliertes Aufheizen der Teilchen. Stattdessen drückt das Laserlicht die Elektronen nun kollektiv in einer Nanometer-dünnen Schicht nach vorne und zieht die Kohlenstoff-Ionen mit sich. Die komplette Folie wird wie ein Segel durch den Lichtdruck des Lasers angetrieben, ein Mechanismus, der von Theoretikern bereits lange vorhergesagt wurde.

Die erzielten Resultate ebnen den Weg zu einer kostengünstigeren Erzeugung der vielversprechenden Kohlenstoffstrahlen. Die nächste Herausforderung für die Physiker im Exzellenzcluster ist, die Energie der Ionenstrahlung weiter zu erhöhen. Noch reicht sie für eine effektive Strahlentherapie nicht aus, die Ionen würden nicht tief genug in den Körper eindringen. Habs freut sich dennoch: "Schon in wenigen Monaten werden wir an unserer Biomedical-Beamline am Max-Planck Institut für Quantenoptik hier in Garching mit der ersten Bestrahlung einzelner Zellen starten und zeitgleich die Ionenstrahlparameter weiter verbessern."

XYZ
XYZ, et. al., Phys. Rev. Lett. 2009, DOI: 10.1103/PhysRevLett.103.245003

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Tumortherapie mit Ionenstrahlen ist schonend
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