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24.07.09 Biomineralisation soll Herstellung von Funktionswerkstoffen vereinfachen

Auf dem Weg zu neuen Funktionswerkstoffen

Wissenschaftler der Universität Stuttgart versuchen im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsvorhabens, Oxidkeramiken biologisch zu erzeugen

Oxidkeramiken wie Zinkoxid oder Titandioxid können in Solar- und Brennstoffzellen oder als extrem kratzfeste Beschichtungen eingesetzt werden. Die Herstellung dieser Funktionswerkstoffe ist allerdings bisher nur mit erheblichem verfahrenstechnischen Aufwand sowie unter erhöhten Prozesstemperaturen und/oder hohem Druck möglich. Dies ist teuer und zudem begrenzen technische Einschränkungen die Einsatzmöglichkeiten.

Seeigellarve – durch die Gabe von zum Beispiel mit Zink angereicherten Futterorganismen sollen Fremd-Ionen in das Skelett eingelagert und auf diese Weise Oxidkeramiken erzeugt werden
Quelle: Biologisches Institut, Uni Stuttgart

Eine Arbeitsgruppe der Uni Stuttgart nutzt nun Prinzipien der Natur, nach denen anorganische Materialien unter Umgebungsbedingungen durch Biomineralisation gebildet werden. Organismen produzieren eine bioorganische Schablone, die als sogenanntes Templat die Bildung eines anorganischen Minerals (zum Beispiel Calciumcarbonat) aus einem wässrigen Medium steuert. Die Natur liefert jedoch nur Minerale, die technisch kaum nutzbar sind. Forscher der Fachrichtungen Zoologie, Molekularbiologie und Virologie, Materialwissenschaft, Technische Biochemie sowie Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre wollen nun Verfahren entwickeln, die es ermöglichen, lebende Organismen technisch interessante Oxidkeramiken sowie organisch/anorganische Hybride (Werkstoffverbünde) herstellen zu lassen.

Das Projekt ist in sechs Bereiche unterteilt: Im Arbeitspaket „in vivo Synthese“ untersucht eine Forschergruppe die Eignung ein- und mehrzelliger Organismen zur Erzeugung der Oxidkeramiken. Anschließend isoliert sie die für die Biomineralisation relevanten Proteine und klont die zugehörigen Gene. Als Versuchsorganismen dienen Bakterien, Ciliaten, Algen sowie Seeigel und ihre Larven. Im Arbeitspaket „in vitro Synthese“ werden die in vivo identifizierten Proteine zur direkten Abscheidung von anorganischen Funktionsmaterialien aus wässrigen Salzlösungen verwendet. Hier wird auch das Tabakmosaikvirus als proteinbasiertes Templat eingesetzt. Im dritten Arbeitspaket „Molekulare Modellierung“ untersuchen die Forscher die Wechselwirkungen von Peptiden und Proteinen mit oxidkeramischen Oberflächen mit molekulardynamischen Simulationen. In Verbindung mit den aus in vivo und in vitro-Untersuchungen gewonnen Daten erstellen sie familienspezifische Proteindatenbanken, die einen systematischen Sequenzvergleich und eine Strukturmodellierung ermöglichen. In den Arbeitspaketen „Struktur“ und „Eigenschaften“ analysieren die Wissenschaftler Biominerale sowie die erzeugten Oxidkeramiken und Werkstoffverbünde. Strukturprinzipien sollen so von Biomineralien auf Funktionswerkstoffe übertragen werden, um beispielsweise deren mechanische Beständigkeit zu erhöhen. Für das Arbeitspaket „Kontinuumsmechanische Modellierung“ simuliert die zuständige Arbeitsgruppe die ermittelten mechanischen Eigenschaften im Rechner. Dabei führt sie numerische Untersuchungen zum Verformungs- und Schädigungsverhalten der Keramiken unter mechanischer Beanspruchung durch und optimiert die Prozesse.

Kontakt:

Prof. Joachim Bill
Institut für Materialwissenschaft
Heisenbergstr. 3
70569 Stuttgart

Tel. 0711/689-3202
e-mail: bill [at] mf.mpg

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Biomineralisation soll Herstellung von Funktionswerkstoffen vereinfachen
(URL: https://www.organische-chemie.ch/chemie/2009jul/funktionswerkstoffe.shtm)

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