Portal für Organische Chemie

Chemie-Nachrichten > April

27.04.09 Neue Rezeptorfamilie entdeckt

Den Gesundheitszustand von Artgenossen "erschnüffeln"

Alte Bekannte des Immunsystems sprechen neu entdeckte Rezeptorfamilie im Vomeronasalorgan an

Bisher war es ein Rätsel, wie Säugetiere "erschnüffeln" können, ob ein Artgenosse krank ist. Eine heiße Spur verfolgen die Biologen Prof. Dr. Marc Spehr und Daniela Flügge. Sie entdeckten, dass ein Botenstoff des Immunsystems, der bei Bakterieninfektionen Abwehrzellen an den Ort des Geschehens lockt, auch Rezeptoren im Vomeronasalorgan der Nase anspricht. Das noch weitgehend unerforschte Organ, das auf Pheromone reagiert, wird auch für spontane Abneigung oder Sympathie und Entscheidungen bei der Partnerwahl verantwortlich gemacht.

Abb. 1: Schematische Skizze eines Mauskopfes mit eingezeichnetem Vomeronasalorgan inklusive Nervenverbindung in das Riechhirn. Unten: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen des VNO im Querschnitt (Übersicht links, Detailaufnahme rechts). Die grüne Fluoreszenz stammt von der Anregung eines grün fluoreszierenden Proteins (GFP), das durch genetische Verfahren in die VNO-Nervenzellen eingebracht wurde.
Quelle: RUB

Lebenswichtig: Informationen aus der Nase

Aufspüren und Qualitätsbewertung von Nahrung, Fernwahrnehmung möglicher Gefahren, Erkennung von Reviergrenzen oder unterbewusstes Auslösen verschollen geglaubter Erinnerungen - der Geruchssinn (Olfaktorik) vermittelt eine Fülle wichtiger Informationen. Eine besondere Funktion üben dabei Duftsignale aus, die zwischen Artgenossen für die soziale und sexuelle Kommunikation von entscheidender Bedeutung sind. Solche chemischen Signale, häufig als Pheromone bezeichnet, werden bei den meisten Säugetieren von einem speziellen Sinnesorgan, dem sog. Vomeronasalorgan (VNO), wahrgenommen. Das VNO ist ein an der Basis der Nasenscheidewand liegendes, von einigen tausend Nervenzellen ausgekleidetes, röhrenförmiges Sinnesorgan. Die Nervenzellen im VNO "erkennen" Pheromone mit Hilfe bestimmter Proteine, der sog. vomeronasalen Rezeptoren. Bei Mäusen kennt man z. B. etwa 300 verschiedene solcher Rezeptoren, die grob in zwei Proteinfamilien eingeordnet werden - sog. V1R und V2R Rezeptoren.

Proteine leiten Immunzellen zum Wirkungsort

Zu den enormen Leistungen des Geruchssinns gehört auch die Fähigkeit vieler Säugetiere, anhand des individuellen Körpergeruchs eines Artgenossen Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand zu ziehen. "Wie der Geruchssinn diese Aufgabe bewältigt und welche Prozesse dabei auf der Ebene individueller Nervenzellen aktiv sind, ist eine der spannendsten aktuellen Fragen der modernen Neuro- und Sinnesbiologie", so Prof. Spehr. In enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe des Neurogenetikers Prof. Dr. Ivan Rodriguez von der Universität Genf ist es Spehr und seiner Mitarbeiterin Daniela Flügge jetzt gelungen, eine neue Familie von VNO-Rezeptorproteinen zu identifizieren und ihre Funktion zu untersuchen. Die als Formylpeptidrezeptoren (FPR) bezeichneten Proteine galten bislang als Spezialproteine des Immunsystems. Bei Entzündungsreaktionen infolge bakterieller Infektionen sind sie es, die die gezielte Wanderung (Chemotaxis) bestimmter Immunzellen (Granulozyten) an den Ort der Infektion bewirken. Dabei werden die Rezeptoren von bakteriellen Abbauprodukten, u.a. durch so genannte Formylpeptide aktiviert.

Bakterielle Abbauprodukte werden "riechbar"

FPRs gehören, wie auch die bekannten vomeronasalen V1R- und V2R-Proteine, zur großen Gruppe der sog. G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Mit Hilfe fluoreszenzmikroskopischer Aktivitätsmessungen ist es dem deutsch-schweizerischen Forschungsverbund nun gelungen, nicht nur die Existenz von fünf dieser Rezeptoren in Säugetiergeruchsorganen nachzuweisen, sondern auch wichtige Aspekte ihrer dortigen Funktion aufzuklären. Flügge und Spehr konnten zeigen, dass u.a. die gleichen bakteriellen Substanzen, die eine Immunantwort auslösen, auch vomeronasale Nervenzellen aktivieren können. Die Bindung von bakteriellen Peptiden an FPRs führt zu einem kurzzeitigen Anstieg der Kalziumkonzentration in den Nervenzellen, ein Signal das daraufhin elektrische Entladungen der Zelle auslöst. Da die bei Entzündungsreaktionen gebildeten bakteriellen Abbauprodukte auch in verschiedenen Körpersekreten ausgeschieden werden, glauben die Wissenschaftler nun, einen wichtigen Weg gefunden zu haben, der es einem Individuum erlaubt, den Gesundheitszustand eines Gegenüber anhand dessen Körpergeruchs zu bewerten.

Quelle:

Formyl receptors-like are a novel family of vomeronasal chemosensors
S. Rivière, et. al., Nature 2009, DOI: 10.1038/nature08029

Bitte zitieren Sie die Seite wie folgt:

Neue Rezeptorfamilie entdeckt
(URL: https://www.organische-chemie.ch/chemie/2009apr/rezeptoren.shtm)

Verwandte Themen:

Life Sciences