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05.07.09 Enzym IspH könnte Angriffspunkt neuartiger Antibiotika werden

Sonderweg macht Mikroorganismen angreifbar

Neues Angriffsziel für maßgeschneiderte Antibiotika entdeckt

Abb. 1: Das IspH-Protein von Bakterien verfügt über einen ungewöhnlichen Eisen-Schwefel-Cluster (rot/gelb), der die Bildung der Isoprenbausteine Dimethylallylpyrophosphat (DMAPP) und Isopentenylpyrophosphat (IPP) katalysiert. Dieses Zentrum könnte der ideale Angriffspunkt für neue Antibiotika werden.
Quelle: Michael Groll, TUM

Immer mehr Bakterienstämme entwickeln Mehrfachresistenzen gegen die bisher lebensrettenden Antibiotika. Mediziner warnen, dass die Todesraten aufgrund von Infektionen schon in naher Zukunft dramatisch ansteigen könnten. Forscher der Technischen Universität München (TUM) haben nun einen Stoffwechselschritt aufgeklärt, der bei vielen aggressiven Mikroorganismen, wie dem Turberkulose- oder Malariaerreger vorkommt und deshalb ein lohnendes Ziel für eine neue Klasse von Antibiotika werden könnte.

Antibiotika behindern die Produktion lebenswichtiger Stoffe in Mikroorganismen und halten die gefährlichen Eindringlinge so in Schach. Immer mehr Bakterienstämme entwickeln jedoch inzwischen Mehrfach-Resistenzen, sodass die bisher lebensrettenden Medikamente versagen. Daher suchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt fieberhaft nach Reaktionsschritten, die für die zu bekämpfenden Mikroorganismen lebenswichtig sind, beim Menschen aber keine oder keine relevante Funktion haben. Ein Team um Professor Michael Groll, Dr. Jörg Eppinger und Dr. Tobias Gräwert, Biochemiker an der TU München, haben nun die strukturellen Grundlagen für einen solchen Reaktionsschritt detailliert beschrieben.

Die lebenswichtigen Naturstoffe aus der Terpen- und Steroidklasse stellen die Zellen fast aller Organismen aus den kleinen Isoprenbausteinen Dimethylallylpyrophosphat (DMAPP) und Isopentenylpyrophosphat (IPP) her. Säugetiere und eine große Zahl weiterer Organismen bauen diese über den so genannten Mevalonat-Weg auf. Fast alle krankmachenden Bakterien und auch der Malariaerreger Plasmodium falciparum haben dagegen eine andere Möglichkeit gefunden, diese wichtigen Substanzen herzustellen. Ihr Sonderweg könnte den Bakterien nun zum Verhängnis werden: Die TUM-Wissenschaftler haben die strukturellen Grundlagen des letzten Schritts der bakteriellen Isopren-Synthese aufgeklärt. Das entscheidende Enzym verfügt über eine äußerst ungewöhnliche Struktur, ähnlich der eines dreiblättrigen Kleeblatts. Es könnte sich als entscheidender Angriffspunkt für neue, maßgeschneiderter Antibiotika erweisen.

Abb. 2: Der letzte Schritt im Methylerythritolphosphat-Weg zur Biosynthese von Isoprenoiden wird durch das IspH-Protein katalysiert.  Die Kristallstruktur in Verbindung mit Mutagenesestudien und Modellrechnungen spricht für einen Mechanismus, der analog zur Birch-Reduktion von Allylalkoholen ist.

Die Arbeiten zur Aufklärung der bakteriellen Isoprenbaustein-Produktion wurden bereits vor zwölf Jahren am Lehrstuhl für Organische Chemie und Biochemie durch Professor Adelbert Bacher in Zusammenarbeit mit den Privatdozenten Wolfgang Eisenreich und Felix Rohdich begonnen. Im Laufe der Jahre entdeckte das Team die meisten Reaktionsschritte des neuen Stoffwechselwegs. Der letzte vom Enzym IspH katalysierte Schritt entzog sich jedoch hartnäckig der strukturellen Aufklärung. Die früheren Messungen legten nahe, dass das aktive Zentrum ein Eisen-Schwefel-Cluster mit drei Eisen und vier Schwefelatomen sein müsste. Andere Wissenschaftler zweifelten die Ergebnisse an, und jahrelang gelang es nicht, eine Kristallstruktur des Enzyms zu bestimmen, die den Beweis hätte liefern können.

Größtes Problem dabei war die Sauerstoffempfindlichkeit des Enzyms, das an der Luft schon in kürzester Zeit degeneriert und dabei Struktur und Funktion einbüßt. Erst kürzlich gelang es einer Arbeitsgruppe von der Justus-Liebig-Universität in Gießen, die Röntgenkristallstruktur der offenen Form des Enzyms zu entschlüsseln. Doch diese Struktur lieferte kaum Informationen zum Ablauf der vom Enzym katalysierten Umsetzung. Das Forscherteam um Professor Groll, Dr. Eppinger und Dr. Gräwert gelang es nun, auch die Röntgenkristallstruktur der geschlossenen Form zu lösen, die die genaue Faltung der Proteinkette und die chemische Umgebung des aktiven Zentrums zeigt.

Nun konnten sie durch Computersimulationen und Mutagenese-Experimente, bei denen Escherichia coli-Bakterien dazu gebracht wurden fehlerhafte IspH-Enzyme zu synthetisieren, den Mechanismus der Reaktion detailliert untersuchen. Röntgenkristallstruktur, kinetische Messungen und Mutagenesestudien bestätigten schließlich die schon vor Jahren vorgeschlagene, ungewöhnliche Anordnung von drei Eisen und vier Schwefelatomen im aktiven Zentrum des Enzyms.

„Nachdem nun Ort, chemischer Ablauf und beteiligte Partner der IspH-Reaktion bekannt sind,“ erläutert Groll, „besteht ein neuer Ansatzpunkt gezielt Substanzen zu entwickeln, die den letzten Schritt der bakteriellen Synthese von Isoprenbausteinen blockieren und Erreger gezielt abtöten könnten. Da Enzym und Reaktion in Säugetieren nicht vorkommen, sollten diese Verbindungen für Menschen keine oder nur geringe Nebenwirkungen besitzen.“

Quelle:

Das IspH-Protein von Escherichia coli - Struktur und Mechanismus
T. Gräwert, et. al., Angew. Chem. 2009, DOI: 10.1002/ange.200900548

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Enzym IspH könnte Angriffspunkt neuartiger Antibiotika werden
(URL: https://www.organische-chemie.ch/chemie/2009jul/antibiotika.shtm)

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