14.10.10 Molekulardynamische Simulation der Smart-Cut-Technik
Smart Cut: Korrosion als Werkzeug für Präzisionsschnitte in Silizium
Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, mittels einer neu entwickelten Simulationstechnik die molekulardynamischen Grundlagen des "Smart Cut"-Schneideprozesses zu entschlüsseln
Abb. 1: Mechanisches Spannungsfeld (Rot: Zugspannung, Blau: Druckspannung) und Details der Korrosionsreaktion an einem Wasserstoff-induzierten Defekt in kristallinem Silizium.
Quelle: Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM)
Langsam fortschreitende Spannungsriss-Korrosion führt zur atomar präzisen Kristalltrennung
Nie zuvor wurde Spannungsriss-Korrosion mit quantenmechanischer Präzision in realistisch großen und komplexen Systemen untersucht, wie es einem Wissenschaftlerteam nun gelungen ist. Erst die Entwicklung einer neuen, hybriden quanten-klassischen Simulationstechnik – die zum Teil im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Verbundprojekts ADGLASS stattfand – hat den Durchbruch ermöglicht. Das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt "Adhesion and Cohesion at Interfaces in High Performance Glassy Systems" steht für Angewandte Spitzenforschung der Grenzflächenmodellierung und -funktionalisierung zur Entwicklung von Hochleistungsglasmaterialien für Pharmazie und Solartechnik und wird am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) koordiniert. Weitere teilnehmende Forschungseinrichtungen sind die Universität Freiburg, die Universität Bremen, das Karlsruher Institut für Technologie KIT und das King’s College London.
Kristalline Schichten mit einer Dicke von etwa 50 Nanometern können mit atomarer Präzision aus einem Silizium-Wafer getrennt werden, nachdem die Wafer-Oberfläche mit einem Wasserstoffstrahl implantiert und anschließend erhitzt wurde. Die Halbleiterindustrie verwendet diesen Prozess seit einigen Jahren, um mithilfe dieser sogenannten "Smart-Cut-Technik" die für elektronische Schaltkreise benötigten Silicon-on-Insulator-Strukturen aufzubauen. Was tatsächlich im Siliziumkristall während des Schnittes passiert, war bis jetzt weitestgehend unbekannt. Deshalb konnten die Hersteller die Smart-Cut-Technik bislang lediglich empirisch optimieren.
Nach Bestrahlung einer Siliziumoberfläche mit Wasserstoff bilden sich
unterhalb der Oberfläche Defekte in Form scheibenförmiger, nanometergroßer
Regionen gespaltener Siliziumbindungen. Beim Erhitzen wachsen diese Defekte
weiter, verbinden sich untereinander und durchtrennen schließlich das Silizium.
Es wurde bisher vermutet, dass Wasserstoffatome in die Defekte eindringen,
Wasserstoffmoleküle bilden und allein aufgrund des Gasdrucks einen Kristallbruch
verursachen.
"Wäre der Gasdruck die Ursache für den Kristallbruch, würde er zu gezackten und
nicht zu den tatsächlichen extrem glatten Oberflächen führen, die im
technologischen Prozess entstehen", widerlegt Dr. Gianpietro Moras vom
Karlsruher Institut für Technologie die Hypothese.
Moras und seine Kollegen haben jetzt mithilfe ihrer quantenmechanischer
Simulationen herausgefunden, dass die Kristalltrennung durch langsam
fortschreitende Spannungsriss-Korrosion erfolgt. Die gebildeten
Wasserstoffmoleküle innerhalb der scheibenförmigen Defekte reagieren mit
gedehnten Silizium-Silizium-Bindungen an deren Spitzen und bringen die Bindungen
zum Bruch. So wachsen die Defekte parallel zur Kristalloberfläche und erzeugen
den sehr glatten – in der Tat atomistisch glatten – Riss innerhalb des
Materials. Erst wenn der Defekt groß genug wird, bei einem Durchmesser von etwa
zehn Mikrometern, baut sich der Druck des einströmenden Wasserstoffs auf und
führt zum spröden Kristallbruch.
Während Spannungsriss-Korrosion im Allgemeinen als ein verheerendes Phänomen
betrachtet wird, das die Sicherheit und Lebensdauer von mechanischen
Infrastrukturen stark beeinflusst, zeigt diese Arbeit hingegen, dass es gezielt
für die Herstellung von nanometergroßen Strukturen eingesetzt werden kann. Die
Befunde eröffnen neue Möglichkeiten in der Optimierung der Smart-Cut-Technik,
welche sich ebenso im Falle anderer kovalenter Materialien wie Germanium,
Diamant und Siliziumkarbid bewährt hat.
Der Konsortiumskoordinator Prof. Colombi Ciacchi erläutert: "Das detaillierte
Verständnis von Prozessen dieser Art hat jedoch nicht nur direkte Auswirkungen
in der Smart-Cut-Technik, sondern wird darüber hinaus Ingenieuren und
Wissenschaftlern dabei helfen, die Haltbarkeit einer Reihe von Materialien und
Strukturen mit hohem Korrosionsrisiko zu verbessern, beispielsweise von
laminiertem Glas, bei dem die Spannungen der verschiedenen Schichten das Glas
anfällig für Korrosion durch Wasser machen. Darüber hinaus werden
Mikro-Elektro-Mechanische Systeme (MEMS) gleichermaßen profitieren, da diese
winzigen Maschinen oftmals Kontakt mit korrosiven Substanzen, zum Beispiel
biologischen Flüssigkeiten, haben."
Auch der Verschleiß von aneinander reibenden Bauteilen und Fertigungsprozesse
wie die Mikrozerspanung beruhen auf einer Kombination von chemischen Reaktionen
und mechanischer Spannung. "Da öffnen unsere Simulationen ganz neue
Untersuchungswege", ergänzt Colombi Ciacchi..
Quelle:
Atomically smooth stress-corrosion cleavage of a hydrogen-implanted crystal
G. Moras, et. al., Phys. Rev. Lett. 2010. DOI:
10.1103/PhysRevLett.105.075502
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Molekulardynamische Simulation der Smart-Cut-Technik
(URL: https://www.organische-chemie.ch/chemie/2010/okt/smart-cut.shtm)
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